Pädagogischer Auftrag und Schwerpunkte:
Einleitung
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG = SGB VIII) formuliert im 1.Kapitel §1 das Recht des jungen Menschen „auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persön-lichkeit“ (§1/1), sowie die Pflege und Erziehung der Kinder als natürliches Recht der Eltern und als „zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ (§1/2).
Aus diesen Rechten ergeben sich folgende Aufgaben für die Tageseinrichtungen (§22/1-3):
- Förderung der Kinder zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit
- Orientierung an den Bedürfnissen des Kindes und der Familien
- Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes
- Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten zum Wohl der Kinder
In unserer Konzeption stellen wir dar, wie diese verpflichtenden Aufgaben umgesetzt werden und mit welcher Gewichtung im Einzelnen die pädagogische Arbeit aufgebaut wird.
Bildung, Erziehung und Betreuung
„Menschen sind Wesen, die nicht nur geboren werden, sondern noch zur Welt kommen müssen“. So beginnt Donata Elschenbroich ihr bekanntes Buch „Welt-wissen der 7-Jährigen“. Dieses „zur Welt kommen“ geschieht im lebenslangen Prozess der Weltaneignung. Den Prozess der Weltaneignung nennt man Bildung. Ein Kind bildet sich, indem es die Umgebung verändern kann, und sich eigene Fluchträume schaffen kann. Erziehung bedeutet, das Kind innerhalb dieser Prozesse zu unterstützen, ihm neue Möglichkeiten anzubieten und ihm Grenzen aufzuzeigen.
Das Kind eignet sich seine Umwelt aktiv an, das heißt es nimmt Anregungen aus seiner Umwelt auf und erforscht, gestaltet um, entwirft neu. Dieser Akt wird Selbstbildung genannt. Der Begriff der Selbstbildung entstand aus der Einsicht, dass das Kind sich von Geburt an seine Inhalte selbst schafft, Gegenstände ertastet, Zusammenhänge erfragt und im dauernden Ausprobieren eigener Strategien sich selbst neue Entdeckungsräume erschließt. „Hilf mir, es selbst zu tun“(Maria Montessori). Erziehung bedeutet hier, dem Kind Möglichkeiten zu geben, eigene Erfahrungen zu machen.
Der Prozess der Weltaneignung geschieht ganzheitlich und mit allen Sinnen. Naturwissenschaftliche, physische, soziale und geisteswissenschaftliche Heraus-forderungen ergeben sich aus dem tagtäglichen Erleben der Wunder dieser Welt. Das Kind lernt und bildet sich, weil es für die Welt von Geburt an offen und bereit ist. Hier hat die Freude am Lernen eine wichtige Rolle zu übernehmen. Spaß am Lernen ist eine entscheidende Erfahrung, die bestärkt werden muss, damit die Lust auch dann weiter besteht, wenn sich im Laufe der Realität erweist, dass es Mühe und Anstrengung kostet, zu lernen, wahr-zunehmen und zu verstehen. Kinder und Erwachsene sollen den Spaß am Spielen, Arbeiten, Reden, Denken und Erfinden gemeinsam suchen.
Bis zu dem Alter, in dem das Kind vom Kindergarten in die Schule wechselt, erarbeitet es sich verschiedene Fähigkeiten (entnommen aus Zeitschrift „mobile“, Ausgabe 1/2005, Renate Ferrari):
im sozial-kommunikativen Bereich:
- Absprachen und Regeln der Gruppe anerkennen
- sich auch in der Gruppe persönlich angesprochen fühlen
- Verantwortung für Aufgaben übernehmen
- sich an Neues heranwagen
- Kontakte und Freundschaften aufbauen
- konzentriert zuhören
- andere Meinungen respektieren
- seine eigene Meinung vertreten und durchsetzen können
- Eigeninitiative entwickeln
im emotional-psychischen Bereich:
- zuversichtlich sein
- belastbar sein
- immer wieder einen Weg zurück zur Ausgeglichenheit finden
im kognitiven Bereich:
- sich konzentrieren können
- Ausdauer haben
- sich erinnern
- logisch denken
- Zahlen, Mengen, Farben und Formen wahrnehmen und verstehen
- Sprache verstehen und sprechen
im physisch-motorischen Bereich:
- gut hören und sehen können
- sich grobmotorisch sicher zu bewegen
- ausgebildete feinmotorische Bewegungen zu haben
- Selbständigkeit entwickeln
Dieser Prozess der Selbstbildung des Kindes muss pädagogisch begleitet sein. Aufgabe der ErzieherInnen ist es, Vorbild zu sein, Räume zu schaffen, die dem Kind ermöglichen, seine Interessen und seinen Forscherdrang auszuleben. Das Kind hat im Erwachsenen einen Begleiter, der offen ist für Fragen und für ein gemeinsames Erarbeiten einer Problemstellung.
Voraussetzung für den Selbstbildungsprozess und seine pädagogische Begleitung ist eine gute Betreuung des Kindes. Das Kind muss sich geborgen fühlen und eine sichere Beziehung zu den ErzieherInnen entwickeln können.
Geborgenheit erlebt das Kind, wenn sein Sicherheitsbedürfnis, seine physiologischen Bedürfnisse und sein Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Liebe und Wertschätzung befriedigt werden.
Partizipation
„Partizipation“ (lat.) bedeutet übersetzt „Teilhabe“ oder „Teilnahme“.
Der Begriff wird oft im politischen Kontext verwendet und meint die Einflussnahme auf demokratische Entscheidungsprozesse durch unterschiedliche Formen der politischen Mitsprache. Im sozialen Kontext bezeichnet Partizipation die Mitwirkung von Individuen oder Gruppen an Entscheidungen, die das eigene Leben und das der Gemeinschaft betreffen.
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz schreibt über die Partizipation von Kindern und Jugendlichen: „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.“ (§8,1;SGB VIII)
Die Mitsprache und Mitbestimmung der Kinder ist an kein bestimmtes Alter gebunden und ist das Recht eines jeden Kindergartenkindes.
Den Weg zu mehr Mitsprache und Mitverantwortung zu beschreiten bedeutet gleichzeitig, die Kinder zu befähigen:
- sich ihrer eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ansprüche bewusst zu werden und diese angemessen zum Ausdruck zu bringen
- Erwartungen und Bedürfnisse Anderer wahrzunehmen, ihnen zuzuhören und sich einfühlen zu können
- die Existenz unterschiedlicher Erwartungen, Meinungen und Wünsche zu akzeptieren
- es auszuhalten, dass der eigene Wunsch nicht immer durchgesetzt werden kann
- sich über unterschiedliche Erwartungen zu verständigen und Kompromisse auszuhandeln
Der Erwerb dieser Fähigkeiten ist abhängig vom Entwicklungsstand der Kinder, ihrer Umgebung, und dem Verhalten der Erwachsenen ihnen und anderen gegenüber.
Die Kinder müssen sich diese Fähigkeiten handelnd erwerben. Sie benötigen Gelegenheiten zur Partizipation, geeignete Mitsprache- und Mitbestimmungs-formen und eine angemessene Unterstützung durch Erwachsene.
Im Kindergartenalltag bietet das soziale Miteinander ununterbrochen Möglichkeiten, die Partizipationskompetenzen zu üben: z.B. während des gemeinsamen Spiels, bei auftretenden Konflikten oder in der Beziehung zu den ErzieherInnen.
Die ErzieherInnen bemühen sich um eine dialogische Haltung. Sie erleben die Kinder als Experten für ihre Lebensräume, Empfindungen, Weltsicht, und streben einen mehr gleichberechtigten als dominanten Umgang an. Konkret heißt das, die Kinder zu ermutigen, ihre Meinung, Kritik und Wünsche zu äußern und diese Äußerungen ernst zu nehmen; Regeln zu diskutieren; die Kinder dabei zu unterstützen, ihre Konflikte selbst und auf konstruktive Weise zu lösen und sich ebenfalls um die konstruktive Lösung von Konflikten zu bemühen; die Kinder eigene Erklärungen entwickeln zu lassen ohne vorschnell einzugreifen, und sie an Entscheidungen des alltäglichen Lebens zu beteiligen (Planung von Festen, Ausflügen, Projekten…).
Kinderkonferenz
Ungefähr einmal in der Woche findet eine Kinderkonferenz statt. Sie ist eine Institution, die die Mitsprache und Beteiligung der Kinder für eine begrenzte Zeit ausdrücklich in den Mittelpunkt stellt. In der Kinderkonferenz haben die Kinder regelmäßig die Gelegenheit, sich in verschiedenen Bereichen der Gesprächs-kultur zu üben: sich vor der Gruppe äußern, andere Kinder ausreden lassen und ihnen zuhören, eigene Ideen, Erlebnisse, Bedürfnisse, Beschwerden, Gedanken formulieren, mit anderen Kindern über Themen diskutieren oder Konflikte aushandeln. Jedes Kind soll das Vertrauen entwickeln, das Recht auf seine eigene Meinung zu besitzen. Die ErzieherInnen üben sich darin, zuzuhören und nicht zu werten, zu belehren oder kluge Ratschläge zu geben.
Partizipation im Kindergartenalltag
Der Wunsch der Kinder nach Selbständigkeit und ihre Bereitschaft, Verant-wortung zu übernehmen, werden durch zahlreiche Mitwirkungsmöglichkeiten im Alltag unterstützt: jedes Kind kümmert sich um seinen Rucksack und sein Vesper, die Kinder schieben den Bollerwagen und beteiligen sich beim Packen, sie übernehmen die Aufgaben beim Hände waschen, im Morgenkreis sind die Kinder abwechselnd für das Verteilen der Regeln und die Zählrunde verantwortlich und die älteren Kinder übernehmen Patenschaften für die neuen Kinder.
Die Realisierung einer dialogischen Beziehung zwischen ErzieherInnen und Kindern, die den Kindern ihr Recht auf Mitsprache und Mitwirkung zugesteht, wird als Prozess des gegenseitigen Wachstums verstanden.
Spiel
Dass das kindliche Spiel von herausragender Bedeutung für die Entwicklung des Menschen ist und seinen Raum und seine Zeit benötigt, ist eine allgemeine Erkenntnis aus zwei Jahrhunderten Pädagogik.
Dabei wird Spiel definiert als eine Tätigkeit, die in Freiwilligkeit und Freiheit geschieht, eine eigene, oft von außen nicht durchschaubare Wirklichkeit besitzt, und im Ausgang offen ist, d.h. niemand soll und kann vorhersagen, wohin sich das Spiel entwickeln wird. Spielen schafft eine bedeutungsvolle Wechsel-beziehung zwischen verschiedenen Spielern oder Spielern und Spielobjekt. Im Spiel lernen Kinder sich selbst und ihren Körper kennen, lernen, ihren Körper zu koordinieren und sich auf grob– bzw. feinmotorische Bewegungen zu konzentrieren. Sie lernen im Spiel, welche Tätigkeiten sie selbst ausführen können und bei welchen Tätigkeiten sie (noch) Hilfe benötigen.
Im Funktionsspiel steht die Koordinierung der Körperbewegungen noch im Vordergrund.
Im Gestaltungsspiel beginnen die Kinder Material zu erforschen, Gegenstände umzubenennen (Sand als Suppe etc.), dabei leben die Kinder mit dem Material ihre Phantasie und Kreativität aus (Klötze werden Türme, Äste werden Bagger etc.). Sie experimentieren mit allerlei Material und erforschen Funktionen.
Im Rollenspiel lernen die Kinder den Umgang mit anderen Kindern und erlernen in ihren verschiedenen Rollen (Polizist, Pferd, Prinzessin, Indianer etc.) und in der Auseinandersetzung um die verschiedenen Rollen den sozialen Umgang miteinander. In den Rollenspielen werden Gefühle (Angst, Mut) ausgelebt und Alltagserfahrungen verarbeitet.
Im so genannten Regelspiel erlernen die Kinder den Umgang im kompetitiven Bereich. Das bedeutet, sie müssen mit Niederlagen zurechtkommen, lernen Regeln, Taktik und Strategie (Brettspiele, Ballspiele etc.). Kinder erobern sich spielerisch in jeder Altersstufe ihre Welt selbst.
Spielen hat kein Ziel, es hat sein Ziel in sich selbst, es wird gespielt um des Spielens willen. Die Kinder können sich in alles verwandeln was sie wollen. Sie leben in einem zeitlosen Augenblick, Spiel ist im Augenblick die einzige absolute Wirklichkeit.
Das Spiel benötigt Freiraum und Zeit. Zeit, sich zusammenzufinden, Zeit, sich für ein Spiel zu entscheiden und Zeit, eigene Ideen durchzuführen.
Entwicklungsbegleitung hat zwei pädagogische Schwerpunkte:
- Motivation zum Spielen schaffen und die pädagogische Begleitung der Kinder
- Lernprozesse spielerisch vermitteln
Zur Spielpädagogik gehört es, eine geeignete Umgebung zu schaffen. Im Wald ist diese Umgebung gegeben. Die Kinder verfügen über genügend Raum, sich für ihre jeweiligen Spiele zurückzuziehen. Der Wald bietet vielfältige Möglich-keiten, sich die Phänomene des Lebens spielerisch anzueignen. So bietet der Wald quasi im Nebenbei ein breites Feld für den kindlichen Forschungsdrang. Die Kinder können ihrem natürlichen Drang zur Bewegung ungehindert nachgeben.
Spielpädagogik bedeutet, zum Spiel anzuregen. Kindliches Spiel findet nur im Rahmen des so genannten Freispieles statt. Freispiel ist gekennzeichnet durch eine hohe Selbstbestimmung der Kinder. Sie wählen sich Spielmaterial, Spiel-dauer, Spielpartner und Spielort selbst. Im freien Spiel sollen die Kinder zu ihrem Spiel finden; dabei beschränkt sich die Begleitung darauf, den Kindern den Einstieg in eine Spielgruppe zu erleichtern, anregendes Spielmaterial bereit-zustellen oder Kindern zu helfen, wenn sich kein Spiel ergeben möchte. Entwicklungsbegleitung hilft dem Kind, während des Spieles neue Lösungs-möglichkeiten für ein Problem zu finden. Die Kinder machen ihre eigenen Erfahrungen und werden von den ErzieherInnen beobachtet und bei Bedarf unterstützt. Freispiel sollte einen großen Teil des Tagesablaufes einnehmen.
Selbstverständlich können ErzieherInnen mit Angeboten Kinder immer wieder anregen, Neues zu entdecken und neue Erfahrungen zu machen. Diese Angebote sind in der Freispielphase offen, d.h. die Kinder können sich entscheiden, ob und wie sie an dem jeweiligen Angebot teilnehmen möchten.
Entwicklungsbegleitung geschieht nach dem situationsorientierten Ansatz, d.h. Inhalte, die die Kinder beschäftigen und die sie an die ErzieherInnen heran-tragen, werden in verschiedenen Angeboten und Projekten weitergeführt. So könnte die Begegnung mit einer Schafherde Themen wie Hütehunde, ein Besuch auf einer Schaffarm, die Gewinnung von Wolle etc. nach sich ziehen. Kinder bilden sich selbst, indem sie um ihre bekannte Welt immer größere Kreise ziehen und so immer neuen Inhalten begegnen, die sie interessieren und die sie durchschauen wollen.
Die ErzieherInnen sollen selbst auch Freude am Spiel haben und bereit sein, sich auch einmal in ein Spiel hineinzubegeben. Allerdings ist es sinnvoll, sich auch wieder zurückzuziehen und die Kinder in in ihre eigene Realität und Erlebniswelt zu entlassen.
Wald als dritter Erzieher
„Im Waldkindergarten wirkt der Naturraum mit seinen besonderen Qualitäten quasi als dritter Erzieher in der Regel drei Jahre auf ein Kind ein und hinterlässt seine Spuren in der individuellen Biografie.“ (aus: Ingrid Miklitz, „Der Waldkindergarten“, S.34)
In seiner Vielfältigkeit ist der Wald ein Entdeckungsraum, der sich im Wandel der Jahreszeiten und der Witterung selbst strukturiert. Die Umgebung entwirft sich spontan und nicht in vorgefertigten immer gleichen Räumlichkeiten. Damit schafft der Wald einen verbindenden gemeinsamen Erfahrungsraum, dem ErzieherInnen und Kinder zusammen immer neu begegnen können. Gemeinsam entdecken sie das Wundervolle und Geheimnisvolle des Waldes. Sie finden Plätze mit besonderer Atmosphäre und besonderen Örtlichkeiten: Wurzeln, Bäche, Quellen, Schluchten, Lehmgruben, hohle oder umgestürzte Bäume, Dickicht. Sie entdecken und betrachten Tiere und deren Spuren sowie Pflanzen und Pilze.
ErzieherInnen und Kinder leben mit den Gefahren des Waldes: giftige Pflanzen, Pilze oder Tiere, die Krankheiten übertragen können, morsche Bäume und ex-treme Wetterlagen. Regeln und Verhaltensweisen, die sich aus diesen Gefahren ergeben, sind den Kindern einsichtig, werden befolgt und befördern ihr Regelverständnis.
Der Aufenthaltsort am jeweiligen Tag wird morgens gemeinsam gewählt, immer orientiert an aktuellen Gegebenheiten, Jahreszeiten und den Wetterverhältnissen.
Im Wald haben die Kinder einen ganzheitlichen Einblick in das Leben. Die Jahreszeiten und ihre jeweiligen Witterungen geben den äußeren Rahmen vor. Nässe und Trockenheit, Wärme und Kälte, unterschiedliche Windstärken, die verschiedenen Färbungen der Jahreszeiten und die Veränderung der Licht-verhältnisse sind tägliche Erfahrungen. Ingrid Miklitz nennt das die „Echtheit der Primärerfahrungen“. Hinzu kommt der selbstverständliche Umgang mit den vier Elementen: Erde, Luft, Wasser (Regen, Bach, Quelle) und Feuer (Feuerstelle im Tipi – zum Kochen, Wärmen und Genießen).
Der Wald mit seinen unendlich vielen Formen und Gestaltungsmöglichkeiten bietet dem Kind eine anregende und phantasiefördernde Umgebung. So erfinden die Kinder ihr Spielzeug immer wieder neu. Äste, Wurzeln, Blätter, Gräser, Früchte und die unterschiedliche Konsistenz der Erde werden im Spiel immer neu zu interpretierende Spielmaterialien. „Deshalb sind die Kinder im Wald freier in der Interpretation und weitaus weniger dem Druck durch bestimmte Erwartungshaltungen von Erwachsenen, was Umgang und Nutzung bestimmter Materialien angeht, ausgesetzt.“ (aus: Ingrid Miklitz, „Der Waldkin-dergarten“, S.41) Die unterschiedliche Verwendung der Materialien setzt die Kommunikation der Kinder untereinander voraus.
Die geheimnisvolle Atmosphäre des Waldes mit seinen verwachsenen Baum-stümpfen, knorrigen Wurzeln und moosbewachsenen Lichtungen besitzt eine Affinität zur Welt der Märchen. Hexen, Räuber, Drachen, verwunschene Prinzen und Prinzessinnen, Feen und Zwerge lassen sich in dieser Atmosphäre leicht vorstellen. Somit bietet der Wald auch eine gute Projektionsfläche für die Ängste, Sehnsüchte und Wünsche der Kinder.
Der Wald bietet die Möglichkeit – quasi nebenbei – grob- und feinmotorische Fähigkeiten einzuüben und zu vertiefen. Motorische Grenzerfahrungen wie Klet-tern durch unwegsames Gelände, dichtes Gesträuch, Balancieren über Steine im Bach, Erklettern von Bäumen und das Schleppen von Baumstämmen ermög-lichen den Kindern Erfolgserlebnisse und das Austesten ihrer Grenzen, die ihnen helfen, ein eigenes Bild von sich zu entwerfen. Hier soll den Kindern ein breiter Spielraum zur Erforschung ihrer Grenzen ermöglicht werden. Das Erleben eigener Grenzen beinhaltet manchmal die Erfahrung, dass Vorhaben, die allein nicht zu schaffen sind, wie das Bauen eines Holztipis oder das Schleppen eines großen Baumstammes, mit anderen Kindern gemeinsam bewerkstelligt werden können.
Feinmotorische Geschicklichkeit ist beim Sammeln kleiner Gegenstände sowie beim Aufheben kleiner Tiere erforderlich.
Im Wald können die Kinder im unbegrenzten Raum ihre immer größer werden-den Sphären selbst erobern. Die Kinder können eigenständig entscheiden, in welchem Verhältnis von Distanz und Nähe zur Gruppe sie sich bewegen möchten. Die Einschränkung besteht darin, dass sie den Bereich der Hörweite nicht verlassen dürfen und vorher Bescheid geben müssen, wenn sie den Sichtbereich verlassen. Es gibt den Kindern ein Gefühl der Freiheit, dass sie für sich sein können und Stille erleben, aber auch befreit lärmen können, ohne andere Kinder zu behindern.
Bildung und Erziehung im Wald bedeutet nicht, dass die Kinder auf andere Gestaltungsmöglichkeiten wie den Umgang mit gängigen Materialien (Scheren, Stifte, Papier, Kleber, Wolle etc.) verzichten müssen. „Grundsätzlich richten sich die Waldkindergärten genauso wie die Regelkindergärten nach den allgemeinen Kindergartenbildungszielen. Dazu zählt selbstverständlich die Vermittlung kulturgebundener Fähigkeiten und Fertigkeiten.“ (aus: Ingrid Miklitz, „Der Waldkindergarten“, S.52)
Der Wald ist keine Insel, sondern ein öffentlicher Ort. Jeden Tag begegnen ErzieherInnen und Kinder Joggern, Spaziergängern, Reitern, Hundebesitzern, Fahradfahrern, Jägern, Waldarbeitern, dem Förster, Waldbesitzern und Schäfern. Manchmal sind Bekannte oder Verwandte der Kinder darunter. So ist der Waldkindergarten ein Ort öffentlichen Interesses und verbindet die Lebens-welten von Zuhause und Einrichtung.
Der tägliche Aufenthalt in der Natur beinhaltet die Hoffnung, dass die Kinder eine bleibende emotionale Beziehung zu ihr aufbauen. Die Empfindung von Schönheit, Stille, Freiheit, Geborgenheit, Trost, Lebensfreude und das Staunen über die Wunder der Natur können die Kinder ihr ganzes Leben begleiten.
Eine zweite Hoffnung richtet sich auf den Schutz unserer zunehmend bedrohten Natur, nach dem Motto: „Man schützt nur, was man liebt“. Achtung und Respekt im Umgang mit der Natur setzt auch Wissen voraus. Die Wissens-vermittlung im Kindergarten geschieht spielerisch. Impulse und Fragen der Kinder werden aufgenommen, anregende Materialien zum eigenen Forschen, Beobachten und Experimentieren bereit gestellt sowie Sach– und Bestimmungs-bücher mitgeführt.